Welche Themen und Fragestellungen rücken für Menschen kurz vor dem Pensionsantritt typischerweise in den Vordergrund – emotional, praktisch und finanziell?
Dr. Gerald Gatterer: Der Pensionsantritt ist ein einschneidender Wendepunkt im Leben, über den sich jeder von uns rechtzeitig Gedanken machen sollte: Meist steht mehr Freizeit, aber weniger Geld zur Verfügung. Auch die sozialen Kontakte verändern sich. Für den Partner, den man bisher oft nur abends gesehen hat, hat man nun prinzipiell mehr Zeit. Gleichzeitig sind manche Freunde noch beruflich eingespannt oder verfolgen ganz andere Pläne. Der Alltag braucht daher eine neue Struktur, und es entsteht die Frage: Womit möchte ich meine Zeit füllen? Oft geht es um die Suche nach neuen, sinnstiftenden Aufgaben, die Freude bereiten und gleichzeitig Halt geben.
In welchen Bereichen zeigt sich häufig ein Mangel an Vorbereitung oder Orientierung?
Dr. Gerald Gatterer: Ruhestandsplanung setzt Selbstreflexion voraus, welche Rolle man im sozialen Umfeld einnehmen und wie man sein Leben im Alter konkret gestalten möchte. Häufig besteht der Wunsch, die während des Berufslebens aufgeschobenen Ideen zu verwirklichen – jedoch ohne realistischen Plan, wie die Wünsche mit den tatsächlich verfügbaren finanziellen Mitteln in Einklang zu bringen sind. Viele schauen mit einer „rosaroten Brille“ auf die Pension und denken: „Dann wird alles leichter, und ich kann endlich so leben, wie ich will.“ Hier fehlt das Bewusstsein, dass es nicht genügt, erst zum Zeitpunkt des Pensionsantritts über die Zukunft im Alter nachzudenken.
Welche Aspekte sollte man bei der Ruhestandsplanung unbedingt berücksichtigen?
Dr. Gerald Gatterer: Zentral ist ein Realitätscheck – sowohl finanziell als auch im gesellschaftlichen Umfeld – und dieser sollte früh genug erfolgen, um ausreichend Spielraum für die Planung zu haben. Dazu gehört es, die eigenen Vorstellungen offen mit Partner , Familie und Freunden zu besprechen. Stimmen sie mit meinen Vorhaben für den Ruhestand überein oder verfolgen sie ganz andere Ideen?
Ich kann beschließen, mich vollständig aus dem Berufsleben zurückzuziehen. Oder ich entscheide mich, weiterhin – wenn auch in reduziertem Umfang – zu arbeiten beziehungsweise mich neuen Aufgaben zu widmen und damit zusätzlich Geld zu verdienen. Vielleicht möchte ich den Ruhestand für große Reisen nutzen oder in meinem Haus mit Garten genießen – passt das jedoch auch für mein persönliches Umfeld? Gibt es in der Partnerschaft ähnliche Vorstellungen darüber, wofür das Einkommen in der Pension genutzt werden soll? Wenn ich mich darauf freue, als Oma oder Opa aktiv zu sein, ist das im Sinne der Kinder? Vielleicht möchten diese ihren Nachwuchs weitgehend selbst versorgen und mich als Großelternteil in die Kinderbetreuung nur wenig einbeziehen. Bewusst sollte uns sein, dass – wenn wir auf soziale Kontakte in der Pension zählen – wir diese bereits vorher aufbauen und zu pflegen wissen müssen. Eines steht fest: Sind die Erwartungen von mir und denen meiner Bezugspersonen zu unterschiedlich, sind Konflikte und Enttäuschungen vorprogrammiert.
Jede Veränderung hat auch finanzielle Konsequenzen – und diese gilt es ganz nüchtern und präzise zu durchdenken. Wie viel Geld habe ich in der Pension zur Verfügung, mit welchen Kosten muss ich rechnen, welche Rücklagen brauche ich für eine altersgerechte Gestaltung meines Wohnraums, spätere Pflege oder unvorhergesehene Ausgaben? Wofür reichen meine finanziellen Mittel und wie kann ich diese im Sinne meiner Pläne für den Ruhestand optimal einsetzen? Wo kann ich einsparen, von welchen nicht notwendigen Dingen kann ich mich trennen, um mehr Geld für den Alltag oder Herzensprojekte zur Verfügung zu haben? Wenn ich plane, die Welt zu bereisen, brauche ich dann noch mein großes Haus – oder ist der Umzug in eine gleich auch barrierefreie Wohnung sinnvoller? Ebenfalls sollten Fragen wie die finanzielle Unterstützung der Kinder geklärt werden.
Welche „Persönlichkeitstypen“ beobachten Sie innerhalb der Altersgruppen 50 plus? Und wie unterschiedlich gehen diese mit den Herausforderungen des Älterwerdens um – etwa in Bezug auf Gesundheit, Rollenwandel, Lebenssinn und Finanzen?
Dr. Gerald Gatterer: In der Alternsforschung identifizieren wir drei Persönlichkeitstypen, die ganz unterschiedlich dem Älterwerden und der Planung des Ruhestands begegnen. Die ersten beiden Typen sind vorrangig sicherheitsorientiert – auch in finanzieller Hinsicht. Sie investieren konservativ, oft sogar noch aufs Sparbuch, was aufgrund niedriger Renditen meist zu einem Kaufkraftverlust führt. Beliebt sind ebenfalls solide Werte wie Immobilien, um Vermögen zu sichern oder von Wertsteigerungen zu profitieren. Was die beiden Gruppen unterscheidet, ist vor allem ihre soziale Ausrichtung.
Die ängstlich Vorsorgenden sparen nicht nur für Notzeiten und die eigene Pension, sondern zudem, um ihren Kindern eine solide finanzielle Basis zu ermöglichen. Sie gönnen sich selbst wenig, verschenken oft großzügig Vermögenswerte an ihren Nachwuchs – ohne zu überlegen, ob sie diese in der Pension eventuell selbst benötigen. Gesundheitlich setzen sie auf Prävention: regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, bewusste Ernährung, Sport – immer mit dem Gedanken, möglichst nicht krank zu werden.
Die überlegt Vorsorgenden sind darauf bedacht, in finanziell schwierigen Zeiten auf finanzielle Ressourcen zurückgreifen zu können. Sie sind bei Ausgaben sehr zurückhaltend und geben Geld nur gezielt sowie reflektiert aus. Im Unterschied zu den ängstlich Vorsorgenden nutzen sie ihre finanziellen Mittel jedoch in erster Linie für sich selbst. Auch bei ihnen spielt die Gesundheit eine wichtige Rolle – allerdings eher mit Blick darauf, möglichst fit, leistungsfähig und attraktiv zu bleiben.
Der dritte Persönlichkeitstyp sind die ich-bezogenen Genießer. Bei den sportlichen Vertretern steht der Spaß an Bewegung sowie Fitness und körperliche Attraktivität im Vordergrund. Die weniger Sportlichen möchten es sich ohne große Anstrengung einfach gut gehen lassen. Für sie ist die Pension der Beginn einer Lebensphase, die sie genießen und in der sie sich etwas gönnen möchten. Sie geben ihr Geld für das eigene Wohlbefinden aus, wollen auch im Ruhestand etwas erleben und oft weiterhin – zeitlich selbstbestimmt – arbeiten. Es ist ihnen dann in vielen Fällen wichtig, sich im sozialen Bereich zu engagieren. Weniger des Geldes wegen, sondern weil sie Sinn stiften und gestalten wollen. Sie leben im Hier und Jetzt, scheuen Veränderungen nicht – ob eine neue Aufgabe oder eine neue Partnerschaft. Gleichfalls sind sie finanziell mutiger und investieren risikoreicher, um höhere Renditen zu erzielen. Kurz gesagt: Sie wollen ihr Leben aktiv auskosten. Für alle drei Persönlichkeitstypen gilt: Entscheidend ist, sich ein klares Bild vom eigenen Leben im Ruhestand zu machen. Das bedeutet, sich bewusst zu werden, was wirklich wichtig ist, was Freude bereitet – und was man künftig nicht mehr tun möchte.
Wie können Berater optimal auf die Bedürfnisse dieser Persönlichkeitstypen eingehen?
Dr. Gerald Gatterer: Wesentlich ist zuerst einmal zu hinterfragen, ob die Menschen, die für die Pläne des Klienten eine Rolle spielen, auch mitziehen und ob die Vorhaben realistisch umsetzbar sind. Aus diesem Szenario lässt sich ableiten, welche finanziellen Mittel nötig sind und wie diese gesichert werden können. Das bietet die Grundlage für die Erstellung eines konkreten Fahrplans, der die richtigen Schritte zur richtigen Zeit definiert. Wertvoll dabei ist hier ein Berater , der diesen Weg gemeinsam mit seinen Kunden konsequent durchdenkt – vom Traum-Lebensstil im Ruhestand bis hin zu Themen wie Pflegebedürftigkeit.
Ängstlich Vorsorgende können von einem sicherheitsorientierten Konzept profitieren, das dennoch attraktive Renditen ermöglicht. Hier gilt es auch zu klären, welche Vermögenswerte zunächst zur eigenen Absicherung behalten und noch nicht an die nächste Generation weitergegeben werden sollten.
Überlegt Vorsorgenden kann im Rahmen einer Finanzberatung aufgezeigt werden, wie sich zusätzlich zu soliden Anlagen – wie etwa Immobilien – weiteres Vermögen aufbauen lässt, um im Ruhestand sowohl abgesichert zu sein als auch mehr finanziellen Spielraum für einen angenehmen Lebensstil zu haben.
Ich-bezogene Genießer träumen von einem aktiven, genussvollen Ruhestand, bedenken aber oft nicht, ob dieser Lebensstil bei mehr Freizeit und weniger Einkommen finanzierbar ist. Hier kommt es darauf an, für die Notwendigkeit einer frühzeitigen, strategischen Vorsorge zu sensibilisieren – insbesondere bei renditestarken Investments, die meist risikoreicher sind und daher langfristig ausgerichtet sein sollten. Dieser Persönlichkeitstyp liegt übrigens im Trend und ist zunehmend verbreitet.
Was raten Sie Menschen Anfang 50, die sich noch nicht ernsthaft mit dem Thema Ruhestandsplanung beschäftigt haben?
Dr. Gerald Gatterer: Wer sich mit 50 noch nicht mit seiner Pension auseinandergesetzt hat, sollte unbedingt eine klare Vorstellung entwerfen, wie er seinen Ruhestand verbringen möchte und seine Pläne auf Erreichbarkeit überprüfen. Die Vorfreude auf den Ruhestand ist oft mit idealisierten Bildern verknüpft, die wenig mit der späteren Realität zu tun haben. Planung hilft, diese Vorstellungen zu überdenken und rechtzeitig die richtigen Weichen zu stellen. Wer häufiger mit finanziellen Engpässen zu kämpfen hat, sollte sogar noch früher beginnen.
Welche inneren Hürden hindern viele daran, sich frühzeitig mit dem Ruhestand auseinanderzusetzen?
Dr. Gerald Gatterer: Unser Gehirn ist auf schnelle Lustbefriedigung sowie Unlustvermeidung ausgerichtet und scheut alles, was anstrengend wirkt – wie Reflexion oder langfristige Planung. Daher wird das noch dazu sehr komplexe Thema Ruhestandsplanung oft verdrängt und gehofft, „dass es schon irgendwie geht“. Genau hier hilft es, einen erfahrenen Berater an der Seite zu haben, der Bewusstsein schafft und Schritt für Schritt durch den Prozess führt. Entscheidend ist, ein klares, positives Bild vom Leben nach dem Pensionsantritt zu entwickeln. Sobald dieses Ziel greifbar wird, wächst auch die Motivation, die Planung konsequent anzugehen.